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Krypto-Defätismus

tl;dr: Sicher verschlüsselte, vertrauliche Kommunikation ist möglich, aber nicht mit dieser Einstellung.

Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen wir, was einige schon seit längerer Zeit vermuteten und/oder behaupteten: Die Geheimdienste dieser Welt, allen voran die amerikanische NSA und das britische GCHQ, spionieren die gesamte Welt aus, sammeln Informationen über unbescholtene Bürger aller Herren Länder und verhalten sich, wie es sich für Geheimdienste geziemt, wie übergriffige Arschlöcher. Seit diesen Enthüllungen hat sich zum Glück einiges getan—Ende-zu-Ende-Verschlüsselung hat Einzug in Messenger wie Signal, Threema und schließlich sogar WhatsApp gehalten und Zugriffe auf das World Wide Web (WWW) finden inzwischen praktisch vollständig über HTTPS statt (Danke, Let's Encrypt!)

Gleichzeitig hielt in den Köpfen der Leute allerdings eine äußerst schädliche Überzeugung Einzug, die ich hier als Krypto-Defätismus bezeichnen möchte. Diese lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Warum soll ich meine Daten und Nachrichten verschlüsseln?—Die NSA kann das eh alles knacken!
Diese Überzeugung ist deswegen so schädlich, weil sie dafür sorgt, dass der Anteil von vertraulicher Kommunikation sehr klein bleibt: Ich für mich selbst kann sicher verschlüsseln, aber jemand, mit dem ich kommunizieren möchte, muss die Prozedur mitmachen. Da freut es die Geheimdienste der Welt natürlich, wenn ob der vermeintlichen Sinnlosigkeit dieser auf sichere Kryptographie verzichtet und im Klartext kommuniziert wird.

Und nun die Fakten:

  • Sichere, vertrauliche Kommunikation ist möglich, und zwar...
  • ... weil es sichere Verschlüsselung gibt, die die Geheimdienste nicht knacken können, und zwar...
  • ... weil für Geheimdienste, Regierungen, Freimaurer, Echsenmenschen, AfD-Wähler und Katholiken dieselben verdammten Naturgesetze gelten wie für uns alle.
Ich bin mir nicht vollständig sicher, aber ich glaube, der Krypto-Defätismus hat dieselbe Ursache wie viele andere gesellschaftliche Probleme: Die Leute sind schlecht in Mathe und stolz darauf.

Sie verstehen nicht, dass die Mathematik, mit allen ihren Regeln und Gesetzen, hinter allem steht, was das 20. und 21. Jahrhundert ausmacht und alles ermöglicht, was für uns nur deswegen nicht wie gottgleiche Magie wirkt, weil wir damit aufgewachsen sind.

Und sie verstehen nicht, dass Mathematik ein großer Gleichmacher ist: Ihre Regeln gelten für Billionäre und Weltorganisationen ebenso wie für Turnvereine und Privatpersonen, oder mit anderen Worten:

Was die Kryptographie geheim gehalten hat, soll der Mensch nicht ergründen.
Selbstverständlich gibt es Angriffe auf Kryptosysteme. Selbstverständlich gibt es Bedienungsfehler, die die Vertraulichkeit verschlüsselter Daten untergraben. Selbstverständlich gibt es Bestrebungen der Geheimdienste, Kryptographie zu schwächen.

Moment mal, wie bitte? Bitte lassen Sie sich diesen Gedanken noch einmal durch den Kopf gehen: Wenn die NSA (oder das GCHQ, oder das BKA/der BND) eine Wundermaschine im Keller stehen hat, die alle Verschlüsselung knacken kann, warum würden sie dann zu solchen Maßnahmen greifen? Weil die Geheimdienste der Welt sehr genau wissen, dass es für sie unmöglich ist—und in vielen Fällen für immer unmöglich bleiben wird—gute Verschlüsselung zu knacken.

Deswegen gibt es immer und immer wieder Bestrebungen, Firmen zur Aufweichung ihrer Kryptographie zu zwingen, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu verbieten oder zu unterwandern oder, möglicherweise, das Narrativ zu verbreiten, Verschlüsselung wäre sinnlos und könnte immer gebrochen werden. In Wirklichkeit sind weitverbreitete Kryptosysteme, sofern sie nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen gebrochen werden und korrekt angewendet werden, auf absehbare Zeit unerreichbar für Außenstehende—asymmetrische Kryptographie ist theoretisch durch Quantencomputer bedroht, praktisch erscheinen solche Angriffe für die nächsten Jahrzehnte unmöglich; symmetrische Kryptographie wie Rijndael ist unempfindlich gegen Quantencomputer.

Es gibt allerdings eine viel größere Bedrohung: Der um sich greifende Krypto-Defätismus und die damit einhergehende Apathie gegenüber Privat- und Intimsphäre, eine selbsterfüllende Prophezeiung: Ich muss mich nicht schützen, Facebook/die NSA/die Weltverschwörung hat meine Daten ja eh.

Steht auf, reibt euch die Augen und fangt an, eure Daten und Kommunikation zu verschlüsseln.

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